Wer kontrolliert die Zivilgesellschaft?

Shownotes

„Der zentrale Punkt, um den es geht, ist Vertrauen.“

In dieser Folge sprechen Victoria Strachwitz und Michael Seberich mit Eva Maria Welskop-Deffaa über Kontroll-und Transparenzinstrumente, Rechenschaftspflichten und die Rolle staatlicher Überprüfungen.

Hier nochmal unsere Argumentationshilfen zusammengefasst:

  1. „Wird die Zivilgesellschaft kontrolliert?“ – Ja. Staatlich, freiwillig, medial und über Transparenzstandards.
  2. „Lähmt Kontrolle Engagement?“ – Nein, gute Kontrolle schafft Vertrauen und schützt vor Missbrauch.
  3. „Warum Transparenz?“ – Weil sie Unabhängigkeit schützt und Glaubwürdigkeit stärkt.

Quellen und Texte zur Folge:

Kleine Anfragen:

Redaktionsschluss für die Folge war der 10.12.2025, 17:00 Uhr.

Impressum

Gefördert durch: Robert Bosch Stiftung und Schöpflin Stiftung

Eine Produktion von: Maecenata Stiftung und Wider Sense

Redaktion & Konzept: Victoria Strachwitz, Michael Seberich

Produktionsteam: Lisa Klisch (verantwortlich), Anna Henke, Ansgar Gessner, Sascha Nicke, Pauline Theresa Fritz

Gestaltung: Joerg Solzbacher | graphism.de, Lisa Klisch

Transkript anzeigen

00:00:00: Der zentrale Punkt, um den es geht, ist Vertrauen.

00:00:06: Was wäre, wenn wir keine Zivilgesellschaft mehr hätten. 

00:00:18: Die NGO-Debatte. Der Podcast von Victoria Strachwitz und Michael Seberich.

00:00:23: Willkommen zu Folge 2 von die NGO-Debatte.

00:00:27: Heute reden wir über eine Frage, die alle fordern, aber kaum jemand wirklich durchdrungen hat.

00:00:32: Wer kontrolliert eigentlich die Zivilgesellschaft? Mit dabei natürlich Michael Seberich.

00:00:39: Und natürlich du, Victoria Strachwitz, die Journalistin, die findet,

00:00:43: dass diese erhitzte NGO-Debatte endlich mal Fakten statt Bauchgefühle braucht.

00:00:48: Dafür haben wir heute eine Frau zu Gast, die Verantwortung in einer Größenordnung

00:00:52: trägt, die viele gar nicht wahrnehmen.

00:00:54: Eva Maria Welskop-Deffaa. Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes. Willkommen.

00:01:00: Hallo.

00:01:01: Frau Welskop-Deffaa, lassen Sie uns direkt einsteigen. Ist es tatsächlich so,

00:01:05: dass die Caritas nach dem Start der größte Arbeitgeber in Deutschland ist?

00:01:10: Ja, das hört man oft und liest man auch immer wieder und es ist auch nicht wirklich

00:01:16: falsch, aber ich glaube, es lohnt sich,

00:01:19: gerade wenn es hier heute um Fakten und den Blick auf die Details geht,

00:01:24: nochmal richtig hinzuschauen.

00:01:26: Wenn wir davon sprechen, dass der Staat der größte Arbeitgeber sei,

00:01:31: dann wird sich das für einen bayerischen Beamten und für einen Angestellten

00:01:36: in Rostock auch nicht so anfühlen, als hätten beide den gleichen Arbeitgeber,

00:01:41: sondern sie sind bei unterschiedlichen Dienstherren beschäftigt.

00:01:44: Und sie können auch nicht, wenn sie vom einen Arbeitgeber zum anderen wechseln,

00:01:50: also von Bayern nach Rostock oder von Rostock nach Bayern, davon ausgehen,

00:01:54: dass sie da automatisch mit besonders offenen Armen empfangen werden.

00:01:58: Das heißt, wenn man den Staat als Ganzen, als Arbeitgeber bezeichnet,

00:02:02: addiert man eigentlich ziemlich viele Äpfel und Birnen und ähnlich ist das bei der Caritas auch.

00:02:07: Alle unsere Ortscaritasverbände, unsere Diözesancaritasverbände,

00:02:11: die Einrichtungen und Träger, die sich unter dem Dach des Deutschen Caritasverbandes

00:02:15: organisieren, sind selbstständige Arbeitgeber.

00:02:18: Sie haben eigene vereinsrechtliche Strukturen und sie haben Arbeitsverträge

00:02:24: mit ihren Beschäftigten,

00:02:26: was allerdings stimmt und deswegen ist es auch gar nicht so falsch,

00:02:31: dass es immer wieder zu lesen ist, sowohl für den öffentlichen Dienst einerseits

00:02:35: als auch für die Caritas andererseits gilt jeweils ein eigenes Tarifwerk.

00:02:40: Insofern denke ich, können wir die 750.000 Beschäftigten bei der verbandlichen

00:02:46: Caritas durchaus als Teil einer relevanten Familie ansehen.

00:02:54: Und ich will aber gleich sagen, weil es ja hier um NGOs geht,

00:02:58: um Zivilgesellschaft, zu diesen 750.000 Beschäftigten,

00:03:03: beruflich Beschäftigten, kommen alles in allem wohl gut 500.000 Menschen,

00:03:10: die sich in und für die verbandliche Caritas ehrenamtlich engagieren.

00:03:14: Und ich glaube, wir kommen da heute nochmal drauf zurück.

00:03:17: Gerade dieses ehrenamtliche, dieses freiwillige Engagement qualifiziert uns

00:03:21: als Teil der Zivilgesellschaft.

00:03:25: Sie führen ja damit eine Organisation, die größer ist als jeder DAX-Konzern

00:03:29: und erreichen damit auch noch Millionen Menschen jeden Tag.

00:03:33: Was bedeutet das für Sie ganz persönlich?

00:03:38: Ja, ich profitiere sehr davon, dass immer dann, wenn ich im Land unterwegs bin,

00:03:45: bei Ortscharactersverbänden, bei Trägern,

00:03:49: mir deren Arbeit anschaue und mich berühren lasse von der unglaublichen Empathie

00:03:57: und wirklichen Nächstenliebe, die die Arbeit der Kollegen und Kolleginnen prägt, für meinen eigenen Job.

00:04:03: Weil wir sind natürlich im Dachverband, im Spitzenverband für das politische Geschäft zuständig.

00:04:10: Wenn man das nur vom Schreibtisch aus tun möchte, dann glaube ich,

00:04:16: verliert man den nötigen Schwung.

00:04:18: Aber wenn man dann vor Ort ist und sieht, da gibt es einen kleinen Träger im ländlichen Raum,

00:04:23: der mit viel Mühe ein mobiles Angebot der allgemeinen Sozialberatung aufgebaut

00:04:30: hat, der sich über Monate darum gekümmert hat, dass das irgendwie refinanziert wird,

00:04:35: der Spenden eingesammelt hat, damit das Auto überhaupt angeschafft werden konnte.

00:04:42: Und der jetzt auch Wege findet, dieses Auto für den Betrieb regelmäßig nutzen

00:04:47: zu dürfen, obwohl es irgendwelche Auflagen gibt, die das eigentlich alles unmöglich machen.

00:04:51: Also wenn Sie da mit den Kollegen und Kolleginnen diese Mühen des Alltags besprechen

00:04:56: und sehen, wie die Ratsuchenden dankbar sind für ein solches Angebot,

00:05:02: dann spüren Sie, wie wichtig das ist, dass wir in Berlin auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen.

00:05:07: Für all diese vielfältige Arbeit immer wieder neu anpassen und weiterentwickeln.

00:05:13: Wir reden ja heute jetzt über die Kontrolle, die Kontrolle der Zivilgesellschaft.

00:05:18: Jetzt würde ich dann bei Ihnen bei der Caritas da auch gerne mal anfangen.

00:05:22: Sie sind ja Teil der Initiative Transparente Zivilgesellschaft,

00:05:26: Sie stehen im Lobbyregister, beides machen Sie freiwillig.

00:05:30: Können Sie vielleicht so ein bisschen erklären, was das bedeutet und warum Sie

00:05:34: das machen, warum Sie sich da selbst verpflichten?

00:05:38: Manchmal fragen mich das meine Kolleginnen auch, weil tatsächlich die Regeln,

00:05:44: die sich der Gesetzgeber jetzt für zum Beispiel das Lobbyregister gegeben hat,

00:05:50: machen uns richtig, richtig viel Arbeit.

00:05:52: Also da binden wir Monat für Monat Personalressourcen, die uns an anderer Stelle

00:05:57: fehlen und es ist ja nicht so, dass wir sagen können, bloß weil wir uns jetzt

00:06:02: verpflichtet haben, diese Lobbyregisteranforderungen zu erfüllen,

00:06:06: haben wir jetzt einen Personalaufwuchs, sondern die Arbeitszeit,

00:06:11: die da reingeht, die fehlt dann für anders.

00:06:13: Und deswegen will ich vorausschicken, dass ich mir schon auch erhoffe,

00:06:20: dass bei all diesen gesetzlichen Regelungen auch Evaluationsschleifen nochmal

00:06:26: genutzt werden, um zu schauen, ob jetzt wirklich alles, was gut gemeint war, auch gut gemacht ist.

00:06:31: Und das gilt ja für alle Ebenen, das betrifft ja nicht nur den Bund,

00:06:34: das betrifft ja auch die europäische Ebene und so weiter.

00:06:37: Also da würde ich mal sagen, da ist aus unserer Sicht schon auch manches sehr mühsam.

00:06:45: Nichtsdestotrotz stimmt es, was Sie sagen, wir haben freiwillig entschieden,

00:06:48: dass wir uns dieser Regulatorik unterwerfen und der zentrale Punkt,

00:06:55: um den es geht, ist Vertrauen.

00:06:58: Wir leben in einer Zeit, wo

00:07:01: alles, was als verborgen empfunden wird, wo die Fantasie entsteht,

00:07:08: da würde etwas verheimlicht, automatisch Misstrauen weckt.

00:07:13: Und Vertrauen ist für eine Institution wie den Deutschen Caritasverband die Goldwährung,

00:07:20: damit wir tatsächlich in der Politik die Ziele erreichen können für unsere ja

00:07:27: häufig zu einer eigenen Vertretung ihrer Interessen nicht befähigten Klientel,

00:07:35: damit wir da Gehör finden, damit man uns vertraut, dass wir nicht im eigenen

00:07:39: Interesse agieren, sondern tatsächlich im Interesse derer, für die wir vorgeben, zu sprechen.

00:07:45: Aber auch an vielen anderen Stellen brauchen wir bei unseren Kundinnen,

00:07:49: bei den Patientinnen, bei den Menschen, die bei uns Ratsuchen, Vertrauen.

00:07:54: Und dieses Vertrauen zu erhalten, ist unser allergrößtes Ziel.

00:07:59: Und ich meine, wenn man sich da die jüngsten Überlegungen von Herrn Professor

00:08:07: Elmar Falani zum Beispiel anschaut, wie intelligent er analysiert,

00:08:13: dass in unserer Zeit Vertrauen viel wichtiger ist als je zuvor,

00:08:17: weil die Welt immer komplexer ist und niemand von uns kann all das durchschauen,

00:08:22: auf das er sich einlässt.

00:08:23: Das fängt beim Internet an und hört bei irgendwelchen medizinischen Geräten nicht auf.

00:08:29: Und gerade in dieser Welt, in der Vertrauen eine so wichtige Voraussetzung dafür

00:08:33: ist, dass wir unseren Alltag überhaupt bestehen können,

00:08:37: ist doch die Dynamik, mit der Vertrauen zerstört werden kann,

00:08:42: wo ein kleiner Funken Misstrauen einmal gezündet hat, größer denn je.

00:08:47: Und deswegen müssen wir aufpassen, dass wir nicht unsererseits eine solche Misstrauensdynamik,

00:08:54: entstehen lassen. Das ist, glaube ich, der allerwichtigste Grund,

00:08:59: warum wir uns diesen Mühen unterziehen.

00:09:01: Das ist ja das Vertrauen nach außen vor allem. Wie wird denn die Caritas so

00:09:06: tatsächlich Tag ein, Tag aus kontrolliert?

00:09:08: Wenn das so eine große Organisation ist, gibt es da ja wahrscheinlich auch bestimmte

00:09:12: Routinen, weil ansonsten würde das ja vermutlich nicht funktionieren.

00:09:17: Oh je, also ich würde mal sagen, wo werden wir als Caritas kontrolliert und

00:09:22: ich habe ja eben schon gesagt,

00:09:24: wer wir alles sind in dieser ganzen Vielfalt und da gilt natürlich das gesamte

00:09:29: Spektrum öffentlicher Kontrollmechanismen.

00:09:32: Und das fängt beim Brandschutz an, geht über den Denkmalschutz.

00:09:35: Das Jugendamt kontrolliert, ob wir tatsächlich die Führungszeugnisse unserer

00:09:40: Beschäftigten haben, die mit den Jugendlichen zusammenarbeiten.

00:09:44: Und natürlich da, wo wir öffentliche Gelder in Anspruch nehmen,

00:09:48: wo wir gefördert werden, gibt es Abrechnungsmodi, wo wir detailliert nachweisen,

00:09:55: wofür wir das Geld ausgegeben haben, dass keine Doppelförderung erfolgt ist.

00:09:59: Und das endet dann eben beim Bundesrechnungshof.

00:10:02: Ich könnte jetzt noch eine ganze Weile mehr Institutionen aufzählen,

00:10:07: die dann als, wenn wir Gebäude bauen, muss man gucken, ob die Statik beachtet wurde.

00:10:14: Also wie überall in unserer Welt viel Kontrolle, die darauf achtet,

00:10:19: dass wir uns an alle Gesetze halten, die für uns einschlägig sind.

00:10:24: Das klingt nicht nach rechtsfreiem Raum, das klingt nach einem Dauer-TÜV.

00:10:29: Ja, stimmt, Dauer-TÜV, aber wir fahren ja eben auch nicht nur ein Auto.

00:10:33: Jetzt haben Sie das vorhin auch schon angedeutet, die Caritas ist ein kirchlicher Wohlfahrtsverband.

00:10:38: Da fragen natürlich dann viele auch, ist das denn überhaupt Zivilgesellschaft

00:10:42: und wie erklären Sie das dann?

00:10:45: Ja, das ist glaube ich eine ganz, ganz, ganz herausfordernde Frage und spricht

00:10:51: mehrere Punkte an. Erstens stellen wir fest, dass die Menschen ohnehin nicht

00:10:56: wissen, was Wohlfahrtsverbände sind.

00:10:57: Das ist von der Begrifflichkeit so altmodisch, da verbinden die Menschen überhaupt nichts Konkretes mit.

00:11:04: Viele Menschen haben eine Vorstellung, was die Caritas ist oder was die Diakonie

00:11:08: ist oder vielleicht auch was die AWO ist, aber sobald wir unsere Sammelbezeichnung

00:11:13: für uns selbst wählen, werden die Menschen verwirrt.

00:11:16: Also das heißt, man weiß schon nicht, was ein Wohlfahrtsverband ist und ob und

00:11:21: inwiefern wir zur Zivilgesellschaft zu rechnen sind, ist noch zusätzlich unklar. Und das heißt,

00:11:28: diese zweite Dimension so unklar ist, hängt mit dem zusammen, wer und wie wir sind.

00:11:35: Wohlfahrtsverbände sind nämlich hybride Organisationen.

00:11:40: Wir sind auf der einen Seite wesentliches Netz der sozialen Infrastruktur.

00:11:46: Unsere Einrichtungen und Dienste sind kleine Unternehmen.

00:11:52: Da ist so eine Pflegeeinrichtung, hat viele Beschäftigte, hat einen Geschäftsführer.

00:11:57: Also funktioniert letztlich von außen betrachtet nicht anders als ein privater Altenhilfeträger,

00:12:03: auch wenn die dahinterliegenden Regeln der Gemeinnützigkeit dazu führen,

00:12:07: dass wir eben keine Gewinne machen und beschränkt sind in der Rücklagenbildung und Ähnlichem.

00:12:12: Aber das ist der Teil, wo wir als soziale Infrastruktur dafür sorgen,

00:12:16: dass in unserem Land die Daseinsvorsorge subsidiär erbracht wird,

00:12:21: Nicht allein durch den Staat, sondern auch durch die gemeinnützigen Träger.

00:12:26: Neben dieser Eigenschaft, soziale Infrastruktur vorzuhalten,

00:12:31: sind wir aber auch Magnet-Andockstruktur für ehrenamtliches,

00:12:39: für freiwilliges Engagement.

00:12:40: Und es sind zwei sehr unterschiedliche Eigenschaften, die uns kennzeichnen.

00:12:45: Ich habe ja eben gesagt 750.000 Hauptamtliche, etwa 500.000 Ehrenamtliche.

00:12:50: Und diese Ehrenamtlichen, das sind Menschen, die einerseits,

00:12:57: wenn man so will, zur Gesamtleistung der Einrichtungen beitragen.

00:13:01: Wenn da ein Besuchsdienst etwa ist in einer Altenhilfeeinrichtung,

00:13:05: der ehrenamtlich erbracht wird, dann führt das dazu, dass die alten Menschen

00:13:09: in dieser Einrichtung insgesamt besser versorgt werden.

00:13:12: Aber es hat eben unmittelbar auch dieses zivilgesellschaftliche Selbstverständnis,

00:13:18: wenn Menschen sich über Jahre als Lesepaten, als Lesepatinnen für Geflüchtete

00:13:24: engagieren, wenn Menschen in der Caritas-Kurse.

00:13:27: Dann auch zu Demonstrationen gehen, wenn wir Appelle mit unterschreiben,

00:13:33: dann hat das eine gesellschaftspolitische Dimension und die legitimiert sich

00:13:38: sehr stark durch dieses Freiwillige, durch dieses ehrenamtliche Engagement.

00:13:42: Und das ist wichtig, beides zu unterscheiden und ich will das auch hier gerne

00:13:46: nochmal so stark hervorheben,

00:13:49: weil wir in diesem Ehrenamtsdiskurs, in diesem Diskurs über zivilgesellschaftliche

00:13:53: Organisationen die Bedeutung der Wohlfahrtspflege strukturell unterbewerten.

00:13:58: Es gibt 660.000, 680.000 zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland.

00:14:04: Ungefähr drei Viertel von ihnen haben keinen einzigen Hauptamtlichen,

00:14:08: also arbeiten rein ehrenamtlich.

00:14:11: Das ist der Kaninienzüchterverein, genauso wie die Umweltschutzaktionsgruppe

00:14:18: und was einem auch sonst noch so einfallen mag.

00:14:22: Und von dem Viertel der Organisationen, die mindestens einen hauptamtlich Beschäftigten

00:14:29: haben, haben nur 5% mehr als 100 Beschäftigte und das sind ganz überwiegend wir.

00:14:35: Und da muss man aber sagen, die vielen Beschäftigten, die Hauptamtlichen,

00:14:38: die wir haben, sind ja anders als bei denen, die nur einen hauptamtlich Beschäftigten

00:14:43: haben, nicht hauptamtlich Beschäftigte, die für die ehrenamtlich Tätigen sind.

00:14:50: Also der Kaninchenzüchterverein, der größer wird und der sich plötzlich

00:14:55: mit einer halben Stelle einen Geschäftsführer leisten kann, der weiß,

00:14:58: dieser Geschäftsführer arbeitet für die Ehrenamtinnen, erleichtert ihnen die

00:15:02: Arbeit, die Ausrichtung ihrer Wettbewerber und so weiter.

00:15:04: Bei uns ist es so, die Hauptamtlichen, die in unseren Krankenhäusern als Ärzte,

00:15:09: als Pflegekräfte tätig sind oder in unseren Jugendhilfeeinrichtungen als Pädagogen,

00:15:13: sind in erster Linie für die Erbringung der Arbeit für die Klienten und Klientinnen da.

00:15:17: Und wenn wir aber trotzdem das bleiben wollen, was wir sind.

00:15:22: Magnet für zivilgesellschaftliches, freiwilliges Engagement,

00:15:26: Motor der Zivilcourage, dann erfordert das auch in unseren Strukturen zusätzliche

00:15:33: Anstrengungen, weil der Geschäftsführer einer Altenhilfeeinrichtung,

00:15:36: der im Augenblick weder weiß.

00:15:38: Ob er eben das Geld regelmäßig und zuverlässig reinkommt, weil die ganzen Kommunen

00:15:43: verspätet zahlen, der nicht weiß, ob er die Personaldecke hat,

00:15:47: die er braucht für seine Menschen in seiner Einrichtung.

00:15:51: Also dieser Geschäftsführer hat so viel Stress, dass dann die Frage,

00:15:55: hat er noch die nötige Empathie, Zeit und Ruhe, um dem Besuchsdienst den Raum

00:16:00: zu geben, um die Kerze im Vorraum anzuzünden, immer dann,

00:16:06: wenn jemand in der Altenhilfe-Einrichtung verstorben ist und das wertzuschätzen

00:16:10: und in den entsprechenden Dialog zu gehen.

00:16:13: Schon indem ich das erzähle, wird Ihnen glaube ich deutlich,

00:16:16: dass das eine Zusatzaufmerksamkeit, eine Zusatzressource fordert,

00:16:21: die nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden kann,

00:16:24: die aber für unsere Gesellschaft so wichtig wäre,

00:16:28: weil wenn ungefähr 10 Prozent des freiwilligen Engagements, das wir in Deutschland

00:16:34: messen, sage ich jetzt mal, wir gehen von ungefähr 30 Millionen ehrenamtlich in Deutschland aus,

00:16:38: wo etwa drei Millionen im Umfeld der freien Wohlfahrtspflege sich bewegen, dann sieht man,

00:16:44: wie attraktiv es für viele Ehrenamtliche ist,

00:16:47: genau in diesen Strukturen ihr Engagement erbringen zu dürfen,

00:16:51: weil wer jetzt sagt, ich würde gerne für alte Menschen mal vorlesen oder ich

00:16:57: würde mit denen gerne spazieren gehen,

00:16:59: der findet ja die alten Menschen nicht auf der Straße, sondern da ist es dann

00:17:03: einfach zu sagen, okay, ich kenne eine Caritas Altenhilfeeinrichtung.

00:17:06: Da weiß ich, wenn ich mich da hinwende, dann organisieren die das für mich,

00:17:10: Dann sagen die mir, ob Frau Müller eine Dame ist, die für Spaziergänge fit genug ist und so weiter.

00:17:17: Also man findet Voraussetzungen, die die Selbstwirksamkeit der ehrenamtlichen stärken.

00:17:24: Deswegen glaube ich, sind wir ein ganz, ganz wichtiger zivilgesellschaftlicher

00:17:27: Akteur, der dafür sorgt, dass in Deutschland das freiwillige Engagement nachhaltig

00:17:32: gesichert ist, aber die Wahrnehmung ist, um auf Ihre Frage zurückzukommen,

00:17:36: ein bisschen verborgen.

00:17:38: Wie hatten Sie denn vorher die Caritas wahrgenommen, bevor Sie dort waren?

00:17:41: Also war das von Anfang an für Sie ein zivilgesellschaftlicher Akteur?

00:17:46: Ja,

00:17:49: das ist eine gute Frage.

00:17:54: Als ich mich für den Deutschen Charitasverband entschieden habe,

00:17:59: also tatsächlich der Anfrage gefolgt bin, um die Stelle als damals Vorständin

00:18:05: in Sozialpolitik zu bewerben,

00:18:07: zu dem Zeitpunkt hatte ich das sehr klar vor Augen.

00:18:11: Aber in den Jahren vorher,

00:18:14: Bin ich mir nicht so sicher. Also meine erste Begegnung mit dem Deutschen Caritasverband

00:18:17: erfolgte im zarten Alter von drei Jahren, weil ich in einem Caritas-Kindergarten war.

00:18:22: Ich glaube, da habe ich Caritas eher mit Ordensschwester und Morgengebet verbunden

00:18:28: als mit Zivilgesellschaft.

00:18:29: Und wann das in meinem Leben sich verändert hat, kann ich echt gerade nicht so genau sagen.

00:18:35: Dann kommen wir mal zu einem Moment, der viel ausgelöst hat.

00:18:38: Viele Organisationen hielten sich bei den Demos zum Schutz der Brandmauer Anfang

00:18:41: des Jahres 2024 zurück, weil es zu politisch sei.

00:18:46: Sie nicht. Warum haben sie sich damals so klar positioniert?

00:18:52: Manchmal sind es ja so glückliche Fügungen, würde ich mal sagen,

00:18:55: die es einem dann auch leichter machen, Entscheidungen zu treffen.

00:18:58: Wir haben als Caritasverband die Tradition, immer für jedes Jahr ein Agendathema

00:19:05: zu beschließen, unter das wir die verbandliche Arbeit stellen.

00:19:09: Und das ist immer ein verbandlicher Prozess, wo wir beraten.

00:19:14: Und für das Jahr 2024 hatten wir uns entschieden für den Claim,

00:19:19: Frieden beginnt bei mir.

00:19:21: Und das war in der ganzen Diskussion, die der Entscheidung vorausging,

00:19:27: ziemlich umstritten, also dass wir das Friedensthema nehmen wollten.

00:19:30: Das hatte sich schon angedeutet, aber wollten wir wirklich sagen,

00:19:36: Frieden beginnt bei mir oder wollten wir lieber sagen, Frieden beginnt bei dir oder bei uns?

00:19:40: Darüber haben wir heftig gerungen und insofern, als es dann Anfang 2024 um die

00:19:45: Frage ging, wollen wir uns an solchen Demos beteiligen, hatte ich die ganze

00:19:52: Diskussion zu diesem Claim im Kopf.

00:19:55: Und es war klar, wir wollten mit dem Claim ausdrücken.

00:19:59: Eine Bekräftigung, dass jeder und jede selbst die Verantwortung hat,

00:20:06: aber auch die Chance hat, zur gesellschaftlichen Wirklichkeit beizutragen.

00:20:11: Ein Mutmachclaim gegen Gefühle der Ohnmacht, gegen das Gefühl,

00:20:15: dass meine eigene Handlungsreichweite viel zu unbedeutend ist, um etwas zu verändern.

00:20:23: Und nach diesen Diskussionen war klar,

00:20:27: gegen das Erstarken der Rechtspopulisten, gegen das Erstarken der Rechtsextremen

00:20:32: wollten wir nicht einfach nur andere in die Pflicht nehmen,

00:20:35: sondern wir wollten auch sofort selber sagen, wir sind dabei etwas zu tun.

00:20:42: Und dann waren natürlich Demonstrationen nicht die einzige Möglichkeit,

00:20:47: aber eine Möglichkeit, um öffentlich sichtbar zu machen, wir sind viele,

00:20:51: wir überlassen den öffentlichen Raum, nicht den anderen.

00:20:55: Und das hat sich, glaube ich, für uns alle als sehr richtig dargestellt,

00:21:01: genau den Start dieser neuen Jahreskampagne zu verbinden mit den Aufrufen zu Demonstrationen.

00:21:09: Macht es dann das einfacher, wenn man da in so einer großen Organisation ist,

00:21:12: wie der Caritas zu sagen, da stelle ich mich vorne hin, gibt einem das auch

00:21:16: so ein bisschen Schutz und

00:21:19: Rückenwind sozusagen?

00:21:21: Es stimmt beides. Es stimmt, dass einem die Größe, wie Sie sagen, Rückenwind verleiht.

00:21:27: Man fühlt sich eben von Anfang an nicht allein, weil Frieden beginnt zwar bei

00:21:31: mir, aber wenn wir mit 50 Leuten dahin gehen, dann beginnt es schon bei uns

00:21:37: und ich muss nicht meine Fahne alleine halten. Das ist in jedem Fall Rückenwind.

00:21:42: Aber was mir in meiner ganzen Präsidentschaft immer sehr bewusst geworden ist,

00:21:48: dass Größe auch zu einer besonders sorgfältigen Abwägung veranlasst,

00:21:56: weil jeder von uns weiß ja, dass die eigene Entscheidung, und das gilt für mich

00:22:01: als Präsidentin genau wie für einen Diözesankaritasdirektor,

00:22:05: mit Auswirkungen auf andere Teile der Organisation verbunden ist,

00:22:10: sodass ein Reputationsschaden, der an der einen Stelle entsteht,

00:22:14: die Arbeit der Kollegen und Kolleginnen erschwert, die an ganz anderer Stelle

00:22:18: in der Republik unterwegs sind, weil am Ende wird man sagen,

00:22:21: die Caritas macht das, auch wenn sie bei mir im Ort bisher bekannt war für jenes,

00:22:27: muss ich doch mal hingucken.

00:22:28: Das heißt, Größe bringt auch eigene Sorgfaltspflichten mit sich.

00:22:35: Was hat denn Ihre Rechtsabteilung, was haben Ihre Juristinnen damals gesagt?

00:22:39: Haben die gewarnt oder eher Rückendeckung gegeben?

00:22:44: Ich habe keine professionellen Besonderheiten feststellen können.

00:22:46: Okay. Dann kommen wir mal auf die politische Reaktion 2025.

00:22:54: 551 Fragen der Union. Ein Katalog, der 17 Organisationen unter Generalverdacht

00:22:59: stellte. Zu laut, zu politisch, zu wenig neutral.

00:23:03: Wie hat dieser Ton Ihre Arbeit erreicht?

00:23:08: Ehrlich gesagt hat das am Anfang mit unserer Arbeit gar nicht so viel gemacht,

00:23:18: aber ich persönlich und auch Freunde und Kollegen von mir, Wir waren schon sehr erschrocken,

00:23:25: dass so kurz vor der Wahl die Spitze der CDU-CSU-Fraktion, es war ja wirklich

00:23:32: die Spitze, die hier unterschrieben hat, was ja gar nicht unbedingt notwendig

00:23:38: ist bei kleinen Anfragen,

00:23:39: dass die Spitze der Fraktion ein solches Instrument zu nutzen für politisch klug ansah.

00:23:47: Das hat eine Irritation ausgelöst in Bezug auf den Kurs der Union,

00:23:53: gerade nachdem ja schon im Januar die Abstimmungen so komisch gelaufen waren.

00:23:59: Und von daher, ich glaube, ich mache mir weniger Gedanken, was das mit der Caritas

00:24:06: zu tun hat, als darüber, was das aussagt über den Zustand der Union.

00:24:13: War das dann für sie so das gefühl warnschuss oder eher so weckruf.

00:24:20: Also ich meine, weder noch.

00:24:23: Ich glaube, wir haben sehr genau in den letzten Jahren gespürt,

00:24:29: dass wir als Caritas gefordert sind,

00:24:33: Verantwortung zu übernehmen über unsere konkrete Arbeit in den Einrichtungen

00:24:39: und Diensten hinaus für den Zusammenhalt der Gesellschaft insgesamt.

00:24:42: Und Leisetreter wollen wir in keinem Fall sein.

00:24:45: Das kann ich gut nachvollziehen. Das andere, was ja da so überraschend ist,

00:24:48: was wie Ihnen das ging, das ist irgendwie ein großes Informationsdefizit dazu,

00:24:54: was Zivilgesellschaft eigentlich ist.

00:24:56: Absolut. Und deswegen beginnen wir auch jetzt viel öfter als früher Gespräche

00:25:05: mit Politikern und Politikerinnen damit,

00:25:07: dass wir denen erstmal so ein Handout rüberreichen,

00:25:11: wo wir mal erklären, wer wir sind.

00:25:14: Und das sagte ich ja gerade schon, nicht nur die Bevölkerung weiß nicht so schnell,

00:25:19: was ein Wohlfahrtsverband ist.

00:25:20: Das kann man auch nicht bei jedem jungen Bundestagsabgeordneten voraussetzen.

00:25:24: Und wenn da falsche Vorstellungen im Kopf sind, dann werden automatisch auch

00:25:29: falsche Schlüsse gezogen.

00:25:30: Von daher sind die Zahlen, die ich eben in Erinnerung gerufen habe,

00:25:35: dass wir zwar 750.000 hauptamtliche Mitarbeitende haben, aber auch 500.000 Ehrenamtliche.

00:25:42: Das sind so Zahlen, die muss man wieder und wieder öffentlich wiederholen,

00:25:46: damit auch verstanden wird, aus welcher Haltung heraus und mit welchem Engagement wir uns einmischen.

00:25:53: Schön, dass Sie bei uns im Podcast sind mit genau diesen Informationen.

00:25:57: Als Präsidentin der Caritas sitzen Sie ja auch im ZDF-Fernsehrat.

00:26:02: Wie vertritt man da denn Zivilgesellschaft? Haben Sie da dann einen anderen Blick als die anderen?

00:26:09: Naja, also der öffentliche Rundfunk geht ja davon aus, in seinem Regelwerk,

00:26:15: dass der Programmauftrag kontrolliert werden soll durch Repräsentanten der Bevölkerung

00:26:23: und dafür gibt es Auswahlverfahren und Prinzipien.

00:26:30: Und wenn man dann sieht, wer da alles drin ist, dann ist schon klar,

00:26:34: dass ich mich als Präsidentin auch jeweils frage,

00:26:39: Welchen Blick sollte ich hineintragen in ein Gremium, in dem der Sport schon

00:26:46: durch hochrangige Repräsentanten vertreten ist und in dem andere Gruppen auch vertreten sind?

00:26:53: Und insofern achte ich bei meinen Wortmeldungen, bei meinen Einlassungen schon

00:26:59: darauf, diese spezifische Caritas-Perspektive in den Vordergrund zu stellen.

00:27:05: Das ist zum Beispiel, damit das nicht so abstrakt klingt, wir haben ja sehr

00:27:09: häufig Programmbeschwerden zu bearbeiten.

00:27:11: Da gibt es Menschen, die wenden sich an uns und sagen, diese und jene Sendung,

00:27:16: die war unausgewogen, die war falsch, die hat ein verzerrtes Bild gezeichnet.

00:27:21: Ich erinnere mich an eine sehr heftige Programmbeschwerde über die Sendung Die Superreichen.

00:27:28: In dieser Sendung wurde sehr ausführlich dargestellt, ein ganz kleiner Anteil

00:27:34: der Bevölkerung mit ihrem Reichtum nicht nur Umweltressourcen verbraucht,

00:27:41: sondern auch Einfluss nimmt.

00:27:43: Und da hatte ich schon das Gefühl, dass es gut war, dass ich als Caritas-Vertreterin

00:27:49: in den Gremien dabei war,

00:27:51: weil es doch andere Kräfte gab,

00:27:54: die versuchten dem Argumenten des Beschwerdeführers sehr rasch zu folgen.

00:28:02: Und ich habe darauf hingewiesen, dass natürlich diese große Ungleichheit,

00:28:09: dieser skandalöse Reichtum von wenigen für die Armen,

00:28:14: die in unseren Schuldnerberatungsstellen, in unseren wohnungslosen Einrichtungen unterwegs sind,

00:28:20: eine Provokation darstellen können und dass ich den Beitrag selbst völlig sachlich

00:28:25: und korrekt empfunden habe.

00:28:26: Und ich glaube, wenn ich da nicht als Vertreterin der Caritas im Fernsehrat

00:28:30: gewesen wäre, hätte diese Stimme in der Bewertung tatsächlich gefehlt.

00:28:36: Interessant. Das heißt, Sie haben eigentlich eine Doppelrolle.

00:28:38: Sie kontrollieren und gleichzeitig werden Sie eigentlich ständig kontrolliert, oder?

00:28:43: Gut, das ist ja oft im Leben so. Wenn man jemanden liebt, wird man auch geliebt.

00:28:50: Also ich finde diese Beziehungen eigentlich normal.

00:28:57: Dann wird ja immer deutlicher, dass die Caritas, wenn Sie das beschreiben,

00:29:01: ist ja auch so ein bisschen wie ein Wasserstandsmelder für die Politik.

00:29:04: Und wenn Sie heute auf Deutschland schauen, was melden Sie denn an die Politik? Wo brennt es?

00:29:12: Ja, tatsächlich empfinde ich das so, dass unsere Einrichtungen und Dienste so

00:29:19: eine Art Seismografenfunktion haben können, wenn das entsprechend genutzt wird.

00:29:25: Wir haben erst vor zwei Wochen zum Beispiel unsere Schwangerschaftsberatungsstatistik

00:29:32: veröffentlicht und da sieht man,

00:29:36: und das ist jetzt ein Beispiel für diese Seismografenfunktion,

00:29:40: die Sie ansprechen, da sieht man.

00:29:43: Wie dramatisch überproportional der Anteil der Frauen und Familien in der Schwangerschaftsberatung

00:29:50: ist, die mehr als zwei Kinder schon haben.

00:29:53: Wir haben in Deutschland ja fast keine Mehrkindfamilien mehr.

00:29:56: Es sind ja nur noch 15 Prozent der Familien, die mehr als zwei Kinder haben.

00:30:01: In unserer Beratungsarbeit waren es 39 Prozent der Ratsuchenden,

00:30:06: die ihr drittes oder ein weiteres Kind erwartet haben.

00:30:10: Und das ist schon ein Hinweis darauf, dass offenkundig Familien mit vielen Kindern

00:30:17: sich in Deutschland schwer tun, überall.

00:30:20: Das fängt beim Wohnungsmarkt natürlich an, aber auch bei der Bewältigung des

00:30:25: Alltags, wenn die Inflation die Lebensmittelkosten in die Höhe treibt.

00:30:29: Das fand ich jetzt ein sehr eindrückliches Beispiel für mich,

00:30:32: wo ich denke, da haben wir wirklich eine Chance,

00:30:35: diese Wasserstandsfunktion zu erfüllen, setzt aber auch voraus,

00:30:38: dass wir selbst unsere eigene Datenanalyse professionell weiterentwickeln.

00:30:45: In unserer Satzung haben wir geschrieben, Not sehen, verstehen und handeln ist

00:30:51: der Anspruch, dem wir uns stellen und dieses Verstehen nicht nur hinzugucken, sondern auch.

00:30:57: Dann eben die Daten so auszuwerten, dass so ein Unterschied zwischen 15 und

00:31:01: 39 Prozent überhaupt wahrgenommen wird und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen,

00:31:06: das empfinde ich in so einem großen Verband als große Herausforderung,

00:31:09: weil eigentlich werden die Daten ja erstmal nur in den jeweiligen Einrichtungen selbst erfasst.

00:31:17: Also die einzelne Kita weiß, dass sie plötzlich mehr migrantische Kinder hat

00:31:23: oder dass die migrantischen Kinder alle erst mit fünf Jahren in die Kita kommen.

00:31:28: Daraus aber aggregierte Daten zusammenzuführen und dann die richtigen Schlüsse

00:31:32: zu ziehen, auch zu schauen, ist das jetzt ein Phänomen, das überall in Deutschland

00:31:36: ist oder gibt es Stadt-Land-Unterschiede.

00:31:38: Dafür müssten wir eigentlich mehr Ressourcen haben,

00:31:42: weil heute solch eine Datenauswertung natürlich möglich ist,

00:31:47: wenn sie entsprechend digital hinterlegt ist und das heißt, man braucht einerseits

00:31:53: die digitale Ausstattung, man braucht die Datenkompetenz an vielen Stellen und

00:31:57: dann auch die verbandliche Bereitschaft,

00:31:59: die Daten so zu teilen, dass jetzt nicht ein Ostkartesverband Sorge hat,

00:32:07: mit dem, was sie weitergeben, wird an anderer Stelle was Falsches gemacht.

00:32:13: Und das alles unter den Datenschutzvorgaben in Deutschland. Aber daran arbeiten

00:32:17: wir sehr stark und halte ich für einen unserer Aufträge, diese Seismografenfunktion

00:32:22: wirklich zu qualifizieren und zu gewährleisten.

00:32:27: Danke. Ich habe eine abschließende persönliche Frage. Wann haben Sie sich das erste Mal engagiert?

00:32:34: Wann waren Sie das erste Mal in Ihrem Leben in Sachen Zivilgesellschaft unterwegs?

00:32:40: Das ist ja jetzt schon ein bisschen die Frage, ab wo beginnt Zivilgesellschaft?

00:32:45: Also in so einem organisierten Kontext war das bei mir tatsächlich erst während des Studiums.

00:32:55: Da habe ich mich einem kleinen Verein angeschlossen. ZIGE hieß der,

00:32:59: Zielgemeinschaftliche Entwicklung.

00:33:00: Da ging es um Entwicklungshilfe, Zusammenarbeit.

00:33:04: Aber natürlich ist das vorher schon grundgelegt gewesen.

00:33:09: Und ich bin wirklich sehr dankbar, dass auf dem katholischen Mädchengymnasium,

00:33:14: auf dem ich Abitur gemacht habe, man sich sehr viel Mühe gegeben hat,

00:33:17: uns als Schülerin vorzubereiten auf solche Art von Engagement.

00:33:22: Und da war eine Lehrerin, die hat zum Beispiel in der Mittelstufe das angeregt,

00:33:27: dass wir immer in so Tandems für ein Schuljahr ein Ehrenamt übernahmen, so eine Aufgabe.

00:33:33: Und ich habe mit meiner besten Freundin damals ein Jahr lang eine alte Frau besucht, die völlig...

00:33:39: Allein war, die keine Angehörigen hatte und in ihrer Wohnung da vor sich hin lebte.

00:33:46: Ich habe bis heute den Geruch dieser Wohnung in der Nase, also auf Deutsch Dank

00:33:50: ist da und ist da auch völlig vermüllt und das ein Schuljahr lang durchgehalten zu haben,

00:33:56: da immer mal einmal die Woche hinzugehen und ein bisschen aufzuräumen,

00:34:00: ein bisschen mit der alten Dame zu sprechen.

00:34:02: Das war so meine erste Erfahrung in einer solchen zivilgesellschaftlich konkreten

00:34:09: Aufgabe und ich glaube ohne diese Prägung hätte ich nicht mein ganzes Leben

00:34:15: lang dann so viele Sachen gemacht.

00:34:16: Ich habe verschiedene Vereine gegründet und eine Genossenschaft gegründet und

00:34:19: all sowas, was wir jetzt nicht aufzählen müssen.

00:34:22: Aber ich glaube, es braucht eine frühe Hinführung. Und deswegen reden wir ja

00:34:27: auch im Augenblick darüber, was Dänemark macht mit diesem Empathieunterricht.

00:34:31: Wir reden über das Freiwillige Soziale Jahr, wo wir ja sehr froh sind als Caritasverband,

00:34:38: dass in der ganzen Diskussion um das Verhältnis-Modernisierungsgesetz man verstanden

00:34:43: hat, dass es nicht nur darum gehen kann.

00:34:46: Angesichts der Kriegsgefahren die Verteidigungsfähigkeit im engeren Sinne dadurch zu fördern,

00:34:53: dass man junge Männer für den Dienst an der Waffe begeistert,

00:34:57: sondern wenn wir als Gesellschaft krisenresilient werden wollen,

00:35:01: wenn wir den Zusammenhalt stärken wollen, dann sollten wir junge Menschen für

00:35:06: alle Formen des freiwilligen Engagements gleichmäßig begeistern.

00:35:10: Es wird ja jetzt in dem Brief, der geplant wird, auch der Hinweis auf die Freiwilligendienste,

00:35:17: das Freiwillige Soziale Jahr enthalten sein.

00:35:19: Das ist ein großer Erfolg aus unserer Sicht, dass wir das geschafft haben und

00:35:24: dass auch 50 Millionen zusätzlich zur Verfügung gestellt werden,

00:35:28: damit die Freiwilligen im sozialen Bereich auch wirklich Einsatzorte finden.

00:35:34: Ich hoffe, dass wir auch bei den Rahmenbedingungen dann nachbessern können,

00:35:41: weil beim Sold hat man ja erhebliche Aufwüchse.

00:35:44: Die Freiwilligen im freiwilligen sozialen Jahr kriegen im Durchschnitt 200 Euro Taschengeld.

00:35:50: Das ist zu den 2500 Euro Sold ganz schön weit entfernt.

00:35:53: Und es geht nicht ums Geld im engeren Sinne, aber wenn ein junger Mensch aus einer Familie,

00:36:00: die ökonomisch nicht auf Rosen gebettet ist, sich entscheidet,

00:36:04: nach der Schule nicht in die Ausbildung zu gehen, sondern ein solches freiwilliges

00:36:08: Jahr dazwischen zu schieben, dann muss es schon ökonomisch irgendwie auch funktionieren.

00:36:13: Und da finde ich die Diskussion um ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr ehrlich

00:36:18: gesagt auch ein bisschen unehrlich, dass man sagt, da kommen wir jetzt mit der

00:36:23: Pflicht, damit möglichst viele junge Leute diese nützliche Erfahrung machen,

00:36:28: wohl wissend, dass wenn man bei den Rahmenbedingungen ein bisschen was verbessern

00:36:33: würde, die Anreize auch ohne Pflicht funktionieren würden.

00:36:38: Vielen Dank. Heute haben wir einiges gelernt. Viel über die Wohlfahrtsverbände

00:36:42: und auch viel über die Zivilgesellschaft, dass das nämlich keineswegs ein Hobby

00:36:46: ist, sondern ein Stützpfeiler dieser Gesellschaft, ein Wasserstandsmelder und vieles mehr.

00:36:51: Und dass sie eigentlich nicht im Schatten arbeiten, sondern im Flutlicht.

00:36:58: Wir haben wie immer drei Argumentationshilfen für euren nächsten Küchentischstreit.

00:37:05: Die erste ist, wird die Zivilgesellschaft kontrolliert?

00:37:09: Ja, staatlich, freiwillig, medial und über Transparenzstandards.

00:37:15: Zweitens, lähmt Kontrolle Engagement?

00:37:19: Nein, gute Kontrolle schafft Vertrauen und schützt vor Missbrauch.

00:37:23: Drittens, warum Transparenz?

00:37:27: Weil sie Unabhängigkeit schützt und Glaubwürdigkeit stärkt.

00:37:31: In der nächsten Folge fragen wir, warum steht Zivilgesellschaft gerade unter Druck?

00:37:36: Unser Gast kommt dann aus dem viel

00:37:38: kritisierten Bereich Umwelt- und Verbraucherschutz, Sebastian Metzger.

00:37:43: Also bleibt dran und abonniert uns. Die NGO-Debatte geht uns wirklich alle an.