Was ist Zivilgesellschaft eigentlich?

Shownotes

„Zivilgesellschaft ist immer da – auch im Katastrophenfall.“

In dieser Folge sprechen Victoria Strachwitz und Michael Seberich mit Dr. Siri Hummel über die Aufgaben und gesellschaftliche Bedeutung von Zivilgesellschaft.

Hier nochmal unsere Argumentationshilfen zusammengefasst:

  1. „Was ist nun Zivilgesellschaft?“ – Zivilgesellschaft ist der Raum zwischen Staat, Wirtschaft und Privatem. Das sind alle Menschen, die sich freiwillig für das Gemeinwohl engagieren, von der Feuerwehr bis zum Elternbeirat.
  2. „Das sind doch nur ein paar Aktivisten.“ – Nein, in Deutschland engagieren sich über 27 Millionen Menschen.
  3. „Warum ist Zivilgesellschaft wichtig?“ – Sie schafft Zusammenhalt, macht Probleme sichtbar und entwickelt Lösungen, lange bevor der Staat eingreift.

Quellen und Texte zur Folge:

Kleine Anfragen:

Redaktionsschluss für diese Folge war der 10.12.2025, 16:00 Uhr

Impressum

Gefördert durch: Robert Bosch Stiftung und Schöpflin Stiftung

Eine Produktion von: Maecenata Stiftung und Wider Sense

Redaktion & Konzept: Victoria Strachwitz, Michael Seberich

Produktionsteam: Lisa Klisch (verantwortlich), Anna Henke, Ansgar Gessner, Sascha Nicke, Pauline Theresa Fritz

Gestaltung: Joerg Solzbacher | graphism.de, Lisa Klisch

Transkript anzeigen

00:00:01: Stell dir vor, das Hochwasser kommt.

00:00:05: Du sitzt auf dem Dach deines Hauses und es bleibt still.

00:00:10: Keine Ehrenamtlichen, keine Initiativen, niemand, der Essen verteilt oder Sandsäcke schleppt.

00:00:18: Du wartest und merkst, wie viel fehlt, wenn niemand da ist, der einfach macht.

00:00:25: So sähe ein Land ohne Zivilgesellschaft aus.

00:00:38: Herzlich willkommen zur ersten Folge von Die NGO-Debatte.

00:00:42: Wir nehmen euch mit in ein Feld, über das alle reden, aber erstaunlich wenig wirklich etwas wissen.

00:00:48: Es geht um Engagement, Einfluss, Finanzierung und die Frage,

00:00:52: was eine freie Gesellschaft eigentlich zusammenhält.

00:00:56: In Deutschland gibt es 662.000 zivilgesellschaftliche Organisationen.

00:01:04: So viele, dass man jeden Tag eine besuchen könnte und trotzdem erst nach rund

00:01:09: 1800 Jahren fertig wäre.

00:01:11: Damit wir durch dieses Feld nicht nur laufen, sondern es verstehen,

00:01:14: mache ich diesen Podcast mit jemandem, der sich seit Jahren professionell darin bewegt.

00:01:18: Michael Seberich, Geschäftsführer von Wider Sense. Er berät Firmen,

00:01:22: Stiftungen und NGOs zu Philanthropie, Corporate Social Responsibility und Impact Investing.

00:01:28: Und ich freue mich, dass ich das zusammen machen darf mit Victoria Strachwitz,

00:01:32: die das Ganze sich aus zwei Blickwinkeln anguckt, von unten und von oben.

00:01:37: Denn sie ist seit vielen Jahren Journalistin, im Lokalen ist sie dort unterwegs,

00:01:41: da wo Engagement entsteht und seit 15 Jahren Stiftungsrätin bei der Maecenata Stiftung,

00:01:47: einem Think Tank für Zivilgesellschaft und Philanthropie.

00:01:50: Der aktuelle Anlass, warum wir zwei über Zivilgesellschaft reden müssen,

00:01:54: kam in Form einer Bundestagsanfrage, der sogenannten 551-Fragen.

00:02:01: Plötzlich standen 17 Organisationen unter Generalverdacht. Zu politisch,

00:02:06: zu laut, zu wenig neutral.

00:02:09: Ja, die dahinterliegende Frage, Victoria, ist ja wirklich, müssen Organisationen,

00:02:13: die staatliche Mittel erhalten, politisch neutral sein?

00:02:16: Mitten in diesem Lärm passierte etwas, das exemplarisch steht für die Debatte.

00:02:21: Greenpeace tauchte auf der Liste auf, bekommt aber gar kein Geld vom Staat.

00:02:26: Aus Prinzip, weil Greenpeace nicht will. Greenpeace will unabhängig sein.

00:02:30: Das zeigt, die Diskussion wird laut geführt, aber selten sauber.

00:02:37: Darum reden wir jetzt mit jemandem, der seit Jahren zu diesem Feld forscht.

00:02:41: Siri Hummel vom Maeenata Institut. Hallo Siri.

00:02:44: Hallo, danke für die Einladung.

00:02:46: Bevor wir ins Detail gehen, was ist denn eigentlich Zivilgesellschaft und warum

00:02:50: wird gerade so heftig darüber gestritten?

00:02:53: Ich glaube, was wir derzeit beobachten, ist eine starke Politisierung und Polarisierung.

00:02:58: Wir sehen insbesondere im internationalen Vergleich auch, dass zivilgesellschaftliche

00:03:02: Akteure von rechtsautoritären Kräften zunehmend als Feindbild markiert werden.

00:03:08: Der Grund ist dafür relativ trivial. Zivilgesellschaft ermöglicht Opposition,

00:03:14: Kritik und damit eben möglichen Widerstand.

00:03:18: Und sie schafft damit gewissermaßen eine autonome gesellschaftliche Sphäre,

00:03:23: die schwer zu kontrollieren ist und deshalb als Bedrohung wahrgenommen wird.

00:03:27: Und autoritäre Akteure versuchen daher, diese Sphäre zu beschneiden,

00:03:31: indem sie sie entweder blockieren oder versuchen zu delegitimieren oder durch

00:03:35: eigene Strukturen auch zu ersetzen.

00:03:38: Und Beispiele dafür finden wir eben in zahlreichen Ländern. Also Ungarn ist

00:03:42: in Europa sicherlich das prägnanteste oder offensichtlichste Beispiel dafür.

00:03:46: Und in Deutschland versucht unter anderem die AfD eben seit Jahren diese Muster

00:03:51: auch zu institutionalisieren, unter anderem mit sogenannten kleinen Anfragen,

00:03:56: du hast sie eben schon erwähnt.

00:03:58: Die systematisch auf Diskreditierung abzielen.

00:04:01: Und mit der Anfrage sind die Christdemokraten bedauerlicherweise auf diesen Zug aufgesprungen.

00:04:08: Das heißt, sie nutzen denselben Mechanismus, um potenziell kritische Akteure,

00:04:13: wie beispielsweise Omas gegen Recht

00:04:15: oder Korrektiv, über diesen Weg der Diskreditierung ins Visier zu nehmen.

00:04:21: Dass das eben nicht nur rein, ich sag jetzt mal, in der parlamentarischen Debatten

00:04:25: bleiben, sondern dass das wirklich weite Kreise zieht, das haben wir gerade untersucht.

00:04:30: Nächste Woche kommt eine Studie von uns raus, die sich Social Media angeguckt

00:04:34: hat und wie da der Begriff der NGO der Zivilgesellschaft gespielt wurde,

00:04:38: so im Vorfeld und kurz danach von der kleinen Anfrage,

00:04:42: also im Februar diesen Jahres.

00:04:45: Und das zeigt eben, dass wir wirklich einen ganz großen Anstieg sehen.

00:04:50: Also vorher wurde der Begriff kaum erwähnt und noch weniger negativ erwähnt.

00:04:57: Und dann sehen wir, steigt das an.

00:05:00: Im Vorfeld der kleinen Anfrage erreicht wirklich so ein, sieht aus wie so ein Berg.

00:05:06: Und dann stabilisiert es sich auf einem höheren Niveau in der negativen Konnotation.

00:05:12: Und da sieht man, wie das weite Kreise zieht und eben wirklich auch die Öffentlichkeit

00:05:17: beeinflussen kann sowas.

00:05:20: Da scheint ja sehr viel zu passieren und von daher ist es wahrscheinlich am

00:05:24: Ende sehr treffend, dass wir unseren Podcast die NGO-Debatte genannt haben.

00:05:28: Aber jetzt nochmal ganz genau, wie würdest du denn dann Zivilgesellschaft jemandem

00:05:32: erklären, der den Begriff vielleicht vorher nicht so gehört hat?

00:05:37: Also die wissenschaftliche Definition, mit der ich arbeite, lautet Zivilgesellschaft

00:05:42: ist die öffentliche gesellschaftliche Sphäre, in der Individuen auf Grundlage

00:05:46: gemeinsamer Bedürfnisse,

00:05:48: Interessen und Werte, freiwillig und kollektiv handeln ohne Gewinnabsicht.

00:05:54: Und damit lässt sich diese Sphäre vom Staat, vom Markt, also im Sinne von privatwirtschaftlichen

00:05:59: Unternehmen und von der Familie abgrenzen.

00:06:03: Das ist jetzt erstmal, wie so viele sozialwissenschaftliche Begriffe,

00:06:07: etwas sperriger, eine etwas große Definition.

00:06:10: Aber ich finde, in der Analytik funktioniert es ganz gut, sich immer zu fragen,

00:06:15: welche sozialen Beziehungen gehen wir eigentlich ein und wie spielt Freiwilligkeit

00:06:19: eine Rolle. Also Familie, Bekannte, Verwandte kann man sich bekanntlich nicht aussuchen.

00:06:26: Arbeiten muss man auch, sonst funktioniert es im Kapitalismus nicht.

00:06:30: Und auch das Verhältnis zum Staat ist im Kern ein Pflichtverhältnis.

00:06:34: Also ich muss Steuern zahlen beispielsweise, aber ich kann auch,

00:06:38: ich habe ein Anrecht auf Leistung.

00:06:39: Und das ist eben eine andere Logik als in der Zivilgesellschaft.

00:06:43: Und in der Zivilgesellschaft bewegen wir uns, wenn wir etwas gestalten wollen.

00:06:50: Und das ist erstmal egal, ob das jetzt ein Festwagen im Karneval ist,

00:06:53: ob ich den Rotmilan versuche zu retten oder ich mich für Menschenrechte engagiere.

00:07:00: Es geht um freiwillige, kollektive Selbstorganisationen.

00:07:04: Und du hattest es schon gesagt, also wenn wir nach den Organisationen schauen,

00:07:09: sprechen wir von rund 650.000 Organisationen.

00:07:12: Das sind überwiegend Vereine, also das ist die weit verbreitete Rechtsform in

00:07:17: Deutschland, aber eben auch Stiftungen,

00:07:19: GmbHs und in diesen Strukturen, GmbHs und in diesen Strukturen findet auch das

00:07:25: meiste freiwillige Engagement statt.

00:07:27: Also je nach politischem Hintergrund

00:07:30: oder sozialem Milieu werden bestimmte Funktionen stärker betont.

00:07:35: Also manche Menschen denken bei Zivilgesellschaft insbesondere an Bewegungen,

00:07:40: Protestformen oder Menschenrechtsorganisationen und andere, da liegt der Schwerpunkt

00:07:46: vielmehr so auf diesem sozialen Zusammenhalt.

00:07:48: Da geht es um Selbsthilfegruppen, Sportvereine, Karnevalsvereine und ganz wichtig

00:07:52: ist, beides gehört dazu.

00:07:54: Menschen haben eben unterschiedliche Schwerpunkte, die sie in ihren Verständnissen dazusitzen.

00:08:01: Die große Mehrheit der zivilgesellschaftlichen Organisationen und deswegen ist

00:08:05: auch diese Debatte, die er eingangs eingefügt hatte, so ein bisschen merkwürdig,

00:08:08: die wenigsten sind politisch aktiv.

00:08:11: Also das sind weniger als zwei Prozent laut ZiviZ, die sich wirklich bewusst

00:08:15: von sich sagen, ja wir sind politische Akteure und den meisten geht es eben

00:08:21: primär um Selbstorganisationen, die Fähigkeit zur Selbstregierung,

00:08:25: aber eher so im Kleinen oder eben schlicht darum gemeinsam Zeit zu verbringen.

00:08:31: Ja, ganz kurz nochmal für unsere Hörer ZiviZ, Zivilgesellschaft in Zahlen,

00:08:35: so eines der wenigen Übersichtsstudien oder eine der wenigen Übersichtsstudien,

00:08:39: die es in dem Bereich gibt, die dann nochmal einen ganz guten Hinweis gibt,

00:08:43: wie die Zivilgesellschaft eigentlich aufgegliedert ist.

00:08:45: Jetzt nochmal ganz kurz einfach, wir haben das ja den Podcast die NGO-Debatte genannt.

00:08:50: Wie passen da jetzt NGOs rein oder wie passt diese Begrifflichkeit da rein in

00:08:54: diese Zivilgesellschaft?

00:08:55: Ja, wenn du so willst, ist NGO ein Begriff, das ist so eine Art Subgruppe von

00:08:59: Zivilgesellschaft, also gehört dazu und je nachdem aus welcher Forschungstradition man kommt,

00:09:05: meint man damit entweder sehr professionalisierte Organisationen,

00:09:09: also sprich die viele Hauptämter haben, die eben wirklich so eine ausgebaute

00:09:12: Struktur haben oder man meint Organisationen, die international tätig sind,

00:09:17: weil das eben aus den internationalen Beziehungen, diese Begrifflichkeit kam

00:09:22: und die eben meint, diese nebenstaatlichen Akteuren auch.

00:09:25: Bei der UNO oder was zum Beispiel dabei.

00:09:28: Jetzt wüsste ich es gerne nochmal irgendwie praktisch. Also stellen wir uns

00:09:32: nochmal das Hochwasser vor.

00:09:34: Wer taucht denn da aufwändig auf dem Dach sitze von der Zivilgesellschaft?

00:09:38: Wer gehört für dich dazu und wer eher nicht?

00:09:42: Du hast dir jetzt einen Katastrophenfall rausgesucht. Ich glaube vorab ist wichtig

00:09:46: nochmal zu sagen, Zivilgesellschaft ist immer da, nicht nur im Katastrophenfall.

00:09:51: Das ist Grundstruktur unserer Gesellschaft und nicht nur Ausnahmezustand.

00:09:55: Aber um bei deinem Beispiel zu bleiben, Zivilgesellschaft ist eben alles das,

00:10:00: wie ich eingangs gesagt hatte, freiwillig kollektiv und nicht gewinnorientiert.

00:10:04: Das heißt, das sind die Ersthelferinnen vor Ort, die zum Beispiel das THW da

00:10:09: die Sandsäcke schleppen beziehungsweise befüllen.

00:10:12: Das ist der Sportverein, der die Turnhalle beispielsweise vorbereitet,

00:10:18: wenn die Leute ihre Häuser nicht mehr nutzen können.

00:10:21: Das sind die Landfrauen, die dann entsprechend die Versorgung bereitstellen,

00:10:26: die Suppe kochen. Das sind die Tafeln des Rote Kreuz, die Klamotten,

00:10:30: die Möbel beispielsweise, die Gespendeten zur Verfügung stehen.

00:10:35: Das sind die Selbsthilfegruppen, die sich in der Regel danach bilden,

00:10:40: um Traumata zum Beispiel zu behandeln oder eben auch Trauer gemeint zu gründen.

00:10:45: Und das sind aber dann auch die Demonstrierenden, also wenn das zum Beispiel,

00:10:50: wenn wir Staatsversagen erleben an dieser Stelle, die dann eventuell auf die

00:10:54: Straße gehen, um auf diese Missstände hinzuweisen.

00:10:56: Also es ist ein sehr, sehr breites Feld.

00:11:01: Und wenn du jetzt fragst, wer gehört nicht dazu, dann auch da wieder zurück,

00:11:06: Blick auf die Definition.

00:11:08: Nicht zivilgesellschaftlich ist dann quasi der, der eine Pflicht erwirbt oder

00:11:12: eben ein hoheitliches Verhältnis agiert.

00:11:14: Das heißt zum einen, wenn ich jetzt meinem Onkel helfe, den Keller leer zu pumpen,

00:11:19: dann ist das eher Familie und nicht Zivilgesellschaft.

00:11:22: Wenn die Firma, die jetzt irgendwie Kabel oder so, die zerstört sind,

00:11:28: repariert und dann eine Rechnung stellt, dann ist das auch nicht Zivilgesellschaft,

00:11:31: dann ist das Marktökonomie.

00:11:33: Und wenn die Polizei Todesfälle untersucht, die zum Beispiel in diesem Katastrophenfall

00:11:39: entstehen, dann ist das Staat, dann ist das Hoheitsgewalt.

00:11:43: Und ich glaube, so kann man das abgrenzen.

00:11:47: Wir haben ja jetzt viel schon über Definition anhand dieses Beispiels aus dem Hochwasser.

00:11:53: Am Ende scheint ja die Debatte dazu zu führen, dass die Zivilgesellschaft unter Druck geraten ist.

00:11:59: Was passiert da gerade und insbesondere, was geht denn da dann eigentlich auch

00:12:03: verloren in dieser Debatte?

00:12:04: Weil es scheint ja doch sehr stark alles politisiert zu werden auf einmal,

00:12:09: was wir wahrscheinlich in der Vergangenheit einfach als sehr selbstverständlich angenommen haben.

00:12:14: Also es passierte halt einfach, es war einfach da.

00:12:17: Genau, ja das zeichnet sich leider momentan tatsächlich ab.

00:12:21: Man kann sich das vielleicht wie so eine Art Zwiebel vorstellen oder beziehungsweise

00:12:24: man guckt, wer hat quasi den direkten Schaden und dann den Schaden zweiter Ordnung

00:12:30: oder vielleicht auch Kollateralschaden, die da entstehen.

00:12:32: Also wir haben direkt die politisch aktiven Organisationen, die ja primär jetzt

00:12:38: ins Licht gerückt werden und die sind natürlich zunächst als erste betroffen.

00:12:44: Also wenn Zivilgesellschaft aus politischen Gründen delegitimiert wird,

00:12:48: dann trifft es zunächst die politisch aktiven Organisationen.

00:12:51: Das heißt, die geraten unter Beschuss in der Öffentlichkeit,

00:12:55: die verlieren im Zweifel Fördermittel, Spenden, wenn eben so Gerüchte dann verfangen

00:13:00: und die Leute weniger spenden und das ist der unmittelbare Schaden.

00:13:03: Aber natürlich reichen die Folgen gewissermaßen weiter.

00:13:07: Also wir erleben dann zum Beispiel, dass irgendwie kleine Initiativen,

00:13:11: die beispielsweise Jugend- oder Kinderarbeit machen, im ländlichen Raum plötzlich

00:13:16: angefeindet werden, weil sie irgendwie, keine Ahnung, zu divers sind oder alle eingeladen haben.

00:13:22: Und dann weiter unmittelbar sehen wir eben auch, dass so Kampagnen dazu führen,

00:13:27: dass sich Menschen zurückziehen, dass dann eben Projekte nicht verwirklicht

00:13:30: werden oder gar nicht erst entstehen.

00:13:33: Wir sehen eine wachsende Verunsicherung sowohl bei den Organisationen als auch bei den BürgerInnen.

00:13:39: Also viele fragen sich dann, ob sie sich vielleicht gar nicht erst spenden sollen

00:13:43: oder gar nicht erst engagieren sollen, weil man kann dann ja nicht mehr wissen,

00:13:47: für wen und irgendwie ist das alles mit so einem komischen Makel und so einem

00:13:50: komischen Verdacht versehen.

00:13:52: Und genau an diesem Punkt beginnt dann eben das gesellschaftliche Vertrauen

00:13:55: zu erodieren und das sehe ich wirklich als massives Problem,

00:13:58: jetzt mal unabhängig von der Frage oder dem Problem,

00:14:01: das Korrektiv jetzt zum Beispiel hat, ist wirklich so dieser gesellschaftliche

00:14:04: Kollateralschaden, der da wirklich fahrlässig meines Erachtens nach angegangen wird.

00:14:09: Weil ohne Vertrauen funktioniert eben die demokratische Öffentlichkeit nicht.

00:14:14: Ja, was soll man sagen? Also wenn Zivilgesellschaft unter Druck gerät,

00:14:17: dann gerät unsere Fähigkeit zur Selbstorganisation unter Druck.

00:14:21: Die konstruktive Kritik ist nicht mehr so einfach möglich und vor allem auch

00:14:26: die kollektive Problemlösung geht auch zurück.

00:14:29: Und das ist eben dann der eigentliche strukturelle Schaden.

00:14:34: Ich verstehe auch nicht ganz, wie man so unter Druck kommen kann,

00:14:36: weil es gibt ja eigentlich einen Grund, selbstbewusst zu sein für die Zivilgesellschaft.

00:14:43: 39,7, also fast 40 Prozent der Menschen in Deutschland engagieren sich freiwillig.

00:14:48: Heißt, in einer Gruppe von zehn engagieren sich vier und sechs profitieren davon.

00:14:54: Das passt für mich noch nicht zusammen.

00:14:58: Ich habe aktuellere Zahlen für dich. Okay, schießen wir auf das Freiwilligensurvey,

00:15:04: der tatsächlich ganz druckwisch.

00:15:05: In den neuen Zahlen sehen wir tatsächlich ein kleines Abfallen der freiwilligen Zahlen.

00:15:10: Das heißt, es sind jetzt 36,7, wenn ich es richtig mir notiert habe,

00:15:15: die sich freiwillig engagieren.

00:15:17: Das heißt, wir sehen einen kleinen Zurückgang.

00:15:20: Das sind immer noch fast 27 Millionen Menschen in Deutschland.

00:15:24: Also es ist schon durchaus noch

00:15:26: ein hohes Niveau. Aber wir müssen uns halt fragen, warum geht es zurück?

00:15:31: Und ein Teil der Erklärung mag eben sein, dass sich Menschen daraus bewusst

00:15:37: zurückziehen. Ich glaube, es hat auch viel damit zu tun.

00:15:41: Also wie wir Menschen in der sogenannten Spätmoderne aufgestellt sind,

00:15:45: womit wir unsere Zeit vertun.

00:15:48: Beispielsweise sind wir alle sehr, sehr viel auf Social Media unterwegs.

00:15:51: Das geht daran, hat man dann keine Zeit mehr fürs Engagement, wenn man das tut.

00:15:55: Und dann müssen wir eben daraus ableitend uns fragen, wie wir das schaffen,

00:16:00: dass die Menschen wieder längerfristig dabei bleiben, weil das sehen wir auch,

00:16:05: die Engagementform erinnern sich und die Bereitschaft, sich wirklich langfristig

00:16:10: zu binden, mehrere Jahre, was zum Beispiel bei der Freiwilligen Feuerwehr wahnsinnig wichtig ist,

00:16:15: das geht insgesamt in den Kohorten zurück.

00:16:17: Das muss man, glaube ich, überlegen,

00:16:21: wie man das schaffen kann, die Leute wieder langfristig am Ball zu halten,

00:16:25: aber auf der anderen Seite eben auch die Engagementform so zu flexibilisieren

00:16:29: und das ist eben in Richtung der Organisationen adressiert, dass man die,

00:16:33: die zwar bereit sind, was zu tun,

00:16:35: aber eben nicht nur kurzfristig oder nur mal so, wenn es dann eben noch einpasst

00:16:40: in unseren allen ja sehr stressigen Tagen,

00:16:44: das vielleicht auch zu ermöglichen.

00:16:47: Das ist sicherlich eine sehr große Aufgabe, die es aber anzugehen gilt.

00:16:52: Und die andere Sache ist eben die, für die wir jetzt länger gesprochen haben,

00:16:56: also die Sache der Polarisierung, der Versuch, dieses Aufladens.

00:17:01: Da müssen wir natürlich auch gucken. Also wie schafft man das,

00:17:04: die Organisation, wenn wir zunehmend von Hate Speech umgeben sind,

00:17:08: von öffentlichen Anfeindungen, da das Engagement umsetzen.

00:17:11: Hoch zu halten und also ich bin jetzt ja, ich bin mit keiner Lösung hierher gekommen.

00:17:16: Wir analysieren das Problem aktuell gerade erst und versuchen dann natürlich,

00:17:23: was kann man machen und wie kann man irgendwie dagegen angehen.

00:17:28: Aber das heißt, also ich bin nicht gerne Elternsprecher, aber ich backe schon

00:17:32: den Kuchen fürs Sommerfest, weil das geht mir gerade noch so aus.

00:17:36: Aber die Verantwortung fürs ganze Jahr, die trage ich nicht so gerne.

00:17:40: Genau, da geht so ein bisschen der Zug her.

00:17:43: Aber das ist ja etwas, was wir auch weiter explorieren wollen,

00:17:46: weil ich glaube, da verändert sich ja was und weil am Ende,

00:17:48: da macht ja Zivilgesellschaft auch Zusammenhalt in unserer Gesellschaft aus,

00:17:53: dass sie ein aktiver Beitrag zu unserer Demokratie ist und da genauer hinzugucken

00:17:58: und das besser zu verstehen, da bin ich also erstmal sehr dankbar dafür,

00:18:02: dass du das heute mit uns hier so gemacht hast.

00:18:04: Am Ende habe ich dann aber auch nochmal eine ganz persönliche Frage und zwar,

00:18:09: wo hat dich Zivilgesellschaft so richtig begeistert und gibt es eigentlich auch

00:18:12: noch eine Frage? okay. auch im Moment, wo die dich mal geärgert hat.

00:18:15: Beides ist korrekt. Und das finde ich auch sehr toll an meinem Job,

00:18:21: dass ich, weil ich mich ja viel mit Zivilgesellschaft auseinandersetze,

00:18:24: ich super viele von diesen tollen Initiativen kennenlerne und von diesen tollen Menschen.

00:18:30: Also begeistern tut mich Zivilgesellschaft immer dann, wenn ich merke,

00:18:34: dass da Menschen aus wirklich intrinsischer Motivation richtig was auf die Beine

00:18:38: stellen, ohne dass sie irgendwie beauftragt werden, ohne dass da viel Geld rumliegt.

00:18:43: Einfach weil sie Probleme lösen wollen.

00:18:47: Und ich habe, wenn du mich jetzt nach Beispielen fragst, gerade etwas, weil ich,

00:18:51: Letzte Woche was zugespendet habe, weil ich das total toll finde.

00:18:56: Das ist ein internationales Beispiel.

00:18:57: The Ocean Cleanup Project. Ich weiß nicht, ob ihr das kennt.

00:18:59: Das ist für mich so ein Paradebeispiel, wo Zivilgesellschaft Lücken schließen

00:19:04: kann, für das sich niemand sonst zuständig fühlt. Weil der Ozean gehört halt keinem Staat.

00:19:10: Da ist keiner irgendwie zuständig. In Unternehmen bringt es auch nichts,

00:19:13: wenn die da irgendwas rausfischen außer Fisch.

00:19:17: Das heißt, da fühlt sich politisch kaum jemand verantwortlich.

00:19:20: Trotzdem wissen wir, was für ein Riesenproblem das ist, dass das alles so vermüllt ist.

00:19:23: Und das Projekt ist, das organisiert halt Freiwillige, sammelt Tonnen von Müll

00:19:29: daraus, entwickelt vor allem neue Technologien, wie man das machen kann und

00:19:33: setzt das Thema überhaupt erst auf die politische Agenda.

00:19:37: Und das ist so die Form der Selbstorganisation für ein globales Gemeingut,

00:19:42: was sonst schlichtweg vermüllen würde. Finde ich großartig.

00:19:46: Anderes Beispiel war letzten Sommer auf dem Dorf, in dem meine Großeltern gewohnt

00:19:50: haben, weil es da immer noch so ein Städtepartnerschaftsprojekt gibt zwischen

00:19:53: Frankreich und Deutschland.

00:19:54: Wöllstein und Barsac. Und,

00:19:57: das ist alles komplett ehrenamtlich getragen. Also der Bürgermeister ist da auch immer mit dabei.

00:20:01: Und in diesem Treffen, was an sich schon sehr, sehr schön war,

00:20:05: haben wir die Freiwillige Feuerwehr besucht da und durften da in die Halle und

00:20:08: in diese großen Fahrzeuge.

00:20:13: Und das war total schön zu sehen, da waren auch die Jüngeren mit dabei,

00:20:18: die da gleichsam mit aufgezogen werden und das zu sehen, also die Kleinen laufen da neben den Alten,

00:20:24: her und lernen das und so bleiben eben die Strukturen erhalten und das Ganze

00:20:29: funktioniert wirklich wie so ein Uhrwerk seit Jahrzehnten,

00:20:33: weil die Leute dem treu bleiben weil sie Verantwortung übernehmen und das ist

00:20:36: für mich eben Zivilgesellschaft auch im besten Sinne, also voll und spektakulär

00:20:40: wenn man so möchte, aber eben stabil und tragfähig.

00:20:45: Und bevor ich jetzt sage, was mich ärgert, ist noch vielleicht ein letztes Beispiel,

00:20:49: weil es eben auch eins dieser polarisierten ist, was ich auch großartig finde,

00:20:53: ist die Initiative Hate Aid, die Organisation Hate Aid. Warum?

00:20:57: Weil da auf einmal ein Problem auftauchte, also sprich zunehmend Hasskriminalität

00:21:01: im Netz, insbesondere gegen Frauen.

00:21:04: Und dann gründet sich halt so eine Organisation und sagt, ja,

00:21:07: wir machen Rechtsberatung für euch. So, finde ich super cool.

00:21:10: Das Problem besteht, kommt auf und dann wird da aber von staatlicher Seite vielleicht

00:21:16: nicht schnell genug reagiert.

00:21:17: Also gründet sich eine Organisation und bietet Rechtsberatung an. Finde ich super.

00:21:23: Was hat mich richtig genervt? Richtig genervt hat mich die letzte Mitgliederversammlung

00:21:27: bei meinem Förderverein.

00:21:30: Überhaupt nicht wegen den Kolleginnen und Kollegen, Grüße gehen raus an dieser

00:21:33: Stelle, sondern wegen diesem bürokratischen Overkill, den wir da haben.

00:21:37: Also die Tätigkeitsberichte, dieses juristische,

00:21:43: dass man da immer zum Notarlatschen muss, wenn sich irgendwas im Vorstand geändert

00:21:48: hat, was sich tut, also was immer wieder passiert und das sind so irgendwie...

00:21:55: Gefühlt zu hohe Hürden oder zu künstlich produzierte Auflagen auch,

00:22:01: die wirklich so die Motivation erdrücken.

00:22:06: Das Thema Bürokratieabbau wird wahrscheinlich auch immer wieder auftauchen in dem Podcast.

00:22:10: Ich will vielleicht jetzt nicht mit dem Genöle enden, weil du glaube ich,

00:22:13: das war jetzt schon die letzte Frage.

00:22:15: Also ich finde, das ist so freiwilliges Engagement ist so ähnlich wie Sport.

00:22:20: Man braucht vielleicht am Anfang eher so kleine Dritte sich selbst.

00:22:24: Man muss sich da irgendwie zu tragen, aber die Benefits spürt man halt später dann.

00:22:29: Man merkt, dass es einem besser geht und das wissen wir auch,

00:22:32: das ist empirisch ganz klar belegt.

00:22:33: Engagement macht einem echt glücklich und es lohnt sich eben, das zu tun.

00:22:40: Das ist doch schon mal, wir hören auf einer positiven Note auf.

00:22:44: Zum Schluss unsere drei Argumentationshilfen für jeden, der diese Debatte führen

00:22:48: will ohne Schlagzeilenlogik.

00:22:50: Die soll es ab jetzt in jeder Folge für euch geben.

00:22:54: Erstens, wenn jemand fragt, was ist denn überhaupt Zivilgesellschaft,

00:22:58: dann könnt ihr antworten.

00:23:00: Zivilgesellschaft ist der Raum zwischen Staat, Wirtschaft und Privatem.

00:23:03: Das sind alle Menschen, die sich freiwillig für das Gemeinwohl engagieren,

00:23:07: von der Feuerwehr bis zum Elternbeirat.

00:23:11: Zweitens, wenn jemand sagt, das sind doch nur ein paar Aktivisten,

00:23:15: dann könnt ihr entgegnen.

00:23:17: Nein, in Deutschland engagieren sich über 27 Millionen Menschen,

00:23:21: wie wir gerade von Siri gelernt haben, mit all den aktuellen Zahlen aus dem Freiwillingsurvey.

00:23:25: Drittens, wenn jemand fragt, warum ist Zivilgesellschaft überhaupt wichtig,

00:23:30: dann könnt ihr drei Punkte nennen.

00:23:33: Zivilgesellschaft schafft Zusammenhalt, macht Probleme sichtbar und entwickelt

00:23:38: Lösungen, lange bevor der Staat eingreifen kann.

00:23:41: Danke Siri, das Grundsätzliche ist dank dir geklärt. Jetzt wissen wir,

00:23:45: über wen oder was wir in diesem Podcast eigentlich reden.

00:23:49: Wir wissen jetzt, dass Zivilgesellschaft immer für uns da ist,

00:23:52: nicht nur im Katastrophenfall. Und ich finde, das klingt echt schön.

00:23:55: Die Zivilgesellschaft bietet eine Vielfalt und da findet jeder Topf seinen Deckel.

00:24:00: Doch irgendwie dämert mir, dass genau dieses Leben und Leben lassen,

00:24:05: genau das scheint gerade nicht mehr in zu sein, oder?

00:24:08: Ja, und das, obwohl das ja ein Merkmal von Demokratie ist.

00:24:13: Seit Februar, wie wir jetzt ja auch gelernt haben, wird in Deutschland ganz

00:24:17: anders über NGOs bzw. Zivilgesellschaft auch gesprochen als zuvor.

00:24:21: Das ist ja auch der Grund, weshalb wir heute sitzen und diesen Podcast machen.

00:24:24: Und Siri hat uns ja auch sehr deutlich gezeigt, wie in Social Media zum Beispiel

00:24:28: sich die Diskurse verändert haben.

00:24:30: Also sehr viel Bewegung im Moment.

00:24:33: Ja, und Siri hat uns ja auch gesagt, sie ist nicht mit Lösungen gekommen.

00:24:36: Hatte ich ehrlich gesagt auch nicht erwartet.

00:24:38: Sie hatte Fakten im Gepäck. Da waren auch ganz schön viele dabei.

00:24:42: Außerdem wollten wir mit ihr ja eigentlich auch erstmal nur den Begriff klären,

00:24:45: damit wir wissen, über was wir hier

00:24:46: eigentlich sprechen. Wer oder was ist Zivilgesellschaft? Was ist eine NGO?

00:24:50: Genau. Und das ist ja auch am Ende alles nicht so leicht. Sie hat uns dabei

00:24:53: allerdings auch sehr deutlich gesagt, dass Zivilgesellschaft mehr ist als NGOs.

00:24:57: Ich bin aber der Meinung, dass wir unseren Podcast trotzdem die NGO-Debatte

00:25:01: nennen können, weil das der Begriff ist, der im Moment im Diskurs steht und

00:25:05: Zivilgesellschaft dann doch für viele ein sehr sperriger Begriff ist.

00:25:09: Wir erleben ja selbst in der Wissenschaft immer wieder, dass man darüber diskutiert,

00:25:13: was Zivilgesellschaft am Ende alles beinhaltet, was es nicht beinhaltet.

00:25:17: Also von daher, die NGO-Debatte passt aktuell gut und ist, glaube ich,

00:25:22: der richtige Begriff hier.

00:25:23: Da bin ich ganz bei dir. Ich kann ja Zivilgesellschaft nicht mal richtig tippen.

00:25:27: Ich vertippe mich jedes einzelne Mal.

00:25:29: NGOs sind im vergangenen Jahr jetzt zu einem Synonym für Zivilgesellschaft geworden

00:25:33: und ja, da bin ich bei dir, das passt.

00:25:36: Und das war die erste Folge von die NGO-Debatte.

00:25:39: In der nächsten Folge sprechen wir mit jemandem, die eine Organisation leitet,

00:25:44: die größer ist als jeder DAX-Konzern.

00:25:46: Und zwar mit der Präsidentin des Deutschen Caritas-Verbandes,

00:25:50: Eva Maria Welskop-Deffaa.

00:25:52: Es geht um das Thema, wer kontrolliert die Zivilgesellschaft.

00:25:56: Also bleibt dran, abonniert den Podcast. Wir erklären Zivilgesellschaft und

00:26:01: wir fangen gerade erst an.